Wissen zum Schutz der Arten

Früher war der Präriebussard (Buteo swainsoni) für die Farmer im Westen Nordamerikas im Sommer ein alltäglicher Anblick: Stundenlang saßen die Greifvögel auf den Pfosten der Weidezäune und hielten nach Beute Ausschau: Insekten und Nagetiere. Im Winter sammelten sie sich in großen Schwärmen und flogen zum Überwintern nach Argentinien. Mitte der 1990er Jahre verschwanden die Bussarde plötzlich.

Biologen statteten daraufhin einige Tiere mit Sendern aus und verfolgten sie auf ihrem Flug nach Südamerika. Den Grund für ihren Rückgang entdeckten die Forscher schließlich in den Überwinterungsgebieten in Argentinien: Die Bauern dort behandelten ihre Felder mit Pestiziden, um sie vor Insekten zu schützen. Die Präriebussarde nahmen mit den Heuschrecken auch die Pestizide auf und starben daran. Mehrere zehntausend Vögel sind Schätzungen zufolge auf diese Weise verendet. Seitdem versuchen Vogelschützer und lokale Bauern gemeinsam, den Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln so zu regulieren, dass sie die Bussarde nicht mehr vergiften. Seitdem haben sich ihre Bestände wieder erholt.

Das Beispiel der Präriebussarde zeigt: Je mehr wir über eine Tierart wissen, desto besser können wir sie schützen. Das gilt besonders für Tiere, die viel unterwegs sind – also Zugvögel, Meerestiere oder manche Säugetiere. Denn auf ihren Reisen sind sie vielen Gefahren ausgesetzt, viele sterben unterwegs. Aber wie groß die Verluste sind, wo sie ums Leben kommen und wodurch, ist für die meisten Arten ungeklärt. Unzählige von ihnen fallen beispielsweise Jägern zum Opfer. Ornithologen schätzen, dass jedes Jahr hunderttausende Vögel bei ihren Zwischenstopps rund um das Mittelmeer in Ägypten, Libyen, Zypern, Malta, aber auch in Italien und Südfrankreich in Netzen gefangen oder abgeschossen werden.

Wenn die Wissenschaftler die Zugrouten gefährdeter Vogelarten kennen und wissen, wo ihre Rastplätze liegen, können entsprechende Schutzgebiete ausgewiesen werden. Für den Artenschutz und den Erhalt der Biodiversität liefert ein satellitengestütztes Telemetrie-System wie Icarus also wichtige Daten. Das Projekt wird aber auch zum Schutz von Tieren beitragen, die sich nicht auf jährliche Wanderungen begeben. Mit seinen Daten über das Verhalten und die Lebensräume einer Art zeigt Icarus, welche Lebensbedingungen eine Art zum Überleben braucht und wo entsprechend Rückzugsgebiete geschaffen werden sollten.

Darüber hinaus müssen bestehende Schutzzonen miteinander vernetzt werden, denn große zusammenhängende Lebensräume gibt es heute nur noch selten. Stattdessen liegen Naturreservate und Nationalparks meist wie Inseln in einem Meer aus Siedlungen, Straßen und Agrarflächen. Für viele Arten ist die menschliche Kulturlandschaft eine unüberwindbare Barriere. Oft sind Schutzgebiete zu klein, um alleine überlebensfähige Populationen einer Art zu beherbergen. Der fehlende Austausch lässt die Populationen zudem genetisch verarmen: Sie verlieren ihre genetische Vielfalt und laufen dadurch in Gefahr auszusterben.

Naturschützer und Wissenschaftler wollen die Schutzgebiete deshalb miteinander verbinden. Korridore stellen sicher, dass die Tiere in den einzelnen Gebieten in Kontakt bleiben. Durch sie können beispielsweise Individuen wandern, die neue Reviere suchen. Häufig sind das Jungtiere, die gerade selbständig geworden sind. So weiß man beispielsweise aus Bewegungsanalyse großer Landraubtiere wie Wölfen, Leoparden oder Pumas, dass Jungtiere immer wieder Naturreservate verlassen und viele hundert Kilometer durch für sie unwirtliches Terrain ziehen. Wanderkorridore könnten die Überlebenschancen dieser Tiere erhöhen und verhindern, dass eine Art in voneinander isolierte Gruppen zerfällt.

Doch woher wissen wir, wo ein Korridor verlaufen sollte? Der schönste Verbindungsweg hilft schließlich nichts, wenn ihn die Tiere nicht benutzen. Gerade die mit Millionenaufwand gebauten Grünbrücken, über die Wildtiere Schnellstraßen überqueren sollen, stehen oft an ungeeigneten Stellen und werden daher nur von wenigen Tieren benutzt.

Theoretische Überlegungen und Berechnungen helfen hier offenbar nicht viel weiter, wie Wissenschaftler um Martin Wikelski herausgefunden haben. Sie haben in der Nähe der Stadt Albany im US-Bundesstaat New York Fischmarder mit GPS-Sendern ausgestattet und anschließend ihre Bewegungen analysiert. Demnach durchwandern die Tiere menschengemachte Landschaften wie Golfplätze oder Friedhöfe, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Die meisten dieser Wanderkorridore verlaufen anders als von theoretischen Berechnungen vorhergesagt. Icarus wird in Zukunft noch mehr Daten zur Verfügung stellen, damit die Verantwortlichen grüne Korridore so einrichten können, dass bedrohte Arten maximal davon profitieren.

Ein weiteres Sorgenkind für Naturschützer sind Konflikte zwischen Mensch und Tier: Bären, die dem Menschen zu nahe kommen; Elefantenherden, die ihre Reservate verlassen und die Felder der Bauern zertrampeln; Tiger, die Menschen attackieren. Icarus kann eine Art „virtuellen Zaun“ um Schutzgebiete errichten. Mit seinen Orts- und Bewegungsdaten kann es die Menschen vor solchen unerwünschten Begegnungen mit Wildtieren warnen. Dadurch können sie Vorsorgemaßnahmen treffen und Schäden begrenzen.

Und nicht zuletzt macht Icarus das Leben der Tiere, ihre Nöte und die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, unmittelbar erfahrbar. Wer in Echtzeit einen Jaguar im südamerikanischen Regenwald oder die Reise der Störche über Kontinente hinweg verfolgen kann, wird sich künftig stärker für den Schutz dieser Tiere einsetzen. Umso mehr, wenn er als „Citizen Scientist“ selbst zum Forscher werden und über Handy App’s wie Animal Tracker eigene Beobachtungen der Wissenschaftsgemeinschaft zur Verfügung stellen kann. Dadurch hilft Icarus noch mehr Menschen für den Natur- und Artenschutz zu begeistern.

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